Warum wir Feminismus immer noch brauchen

Als Referentin für Frauen- und Genderpolitik war Hanna Biller fünf Jahre lang in der BJV tätig. Im Blog sagt sie uns, warum wir Feminismus immer noch brauchen. 

Als Referentin für Frauen- und Genderpolitik war ich regelmäßig mit der Frage konfrontiert, ob wir Feminismus wirklich immer noch brauchen. Ob wir Gender Mainstreaming Maßnahmen und Analysen nicht sein lassen können, wenn dabei schlussendlich rauskommt, wie gut Gleichberechtigung eigentlich eh schon funktioniert? (Spoiler: Wenn wir wo gleichberechtigt sind, dann in den allermeisten Fällen WEGEN solcher Maßnahmen und vorangegangener feministischer Kämpfe – es bedeutet nie, dass wir diese nicht mehr brauchen!)

Als Feministin habe ich den Eindruck, mich permanent zu wiederholen. Eigentlich müssten mittlerweile wirklich alle Menschen wissen, warum wir uns nicht für „Humanismus“ einsetzen (sondern eben für Feminismus), warum es uns nicht nur um das Geschlecht geht, sondern auch um andere Diskriminierungsformen und warum wir immer wieder betonen, dass unser Feminismus intersektional ist und unsere Kämpfe für Menschen ALLER Geschlechter relevant sind, und eben nicht nur für Frauen.

Aber diese Dinge sind auch im Jahr 2022 nicht selbstverständlich. Warum also bin ich Feministin?

  • Mir hat beispielsweise vor wenigen Tagen ein junger Mann gesagt, er würde nie ein rosarotes Hemd anziehen, weil „das wäre ja was für Frauen“.
  • Erst Anfang 2022 wurde eine Studie präsentiert, die zeigt, dass Väter in Österreich kaum in Karenz gehen. Bei acht von zehn heterosexuellen Paaren gehen Männer weder in Karenz, noch beziehen sie Kinderbetreuungsgeld. Jene zehn Prozent, die in Karenz gehen, nehmen sich weniger als drei Monate Zeit dafür. Sechs Monate Karenz oder mehr nimmt überhaupt nur einer von hundert Vätern in Anspruch.
  • Care-Arbeit in Österreich ist weiblich: Etwa 2/3 der unbezahlten Care-Arbeit werden in Österreich von Frauen geleistet. Auf bezahlte Arbeit umgerechnet ergibt diese Leistung etwa eine Summe von 100 Milliarden Euro im Jahr – das sind ca. 30 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts. Aber auch im bezahlten Bereich ist Care-Arbeit immer noch weiblich dominiert: Von zehn Menschen in Betreuungsberufen ist nur einer männlich.
  • Im Jahr 2019 befand sich auf der Liste der 100 bestbezahltesten Sportler*innen der Welt genau eine (!) Frau. Im Jahr 2020 waren es immerhin zwei. Yey!
  • In der Transgender-Ambulanz am Wiener AKH – eine der wichtigsten medizinischen Anlaufstellen für trans und nicht-binäre Personen – wartet man aktuell bis zu 10 Monate auf einen Termin. 10 Monate!
  • In den an der Wiener Börse notierten Unternehmen waren im Januar 2020 nur 15 von 222 Vorstandspositionen mit Frauen besetzt (6,8 Prozent). In den 200 umsatzstärksten Unternehmen des Landes liegt der Geschäftsführerinnenanteil bei 8 Prozent – Tendenz sinkend (2019: 8,2 Prozent, 2018: 8,4 Prozent).
  • In Österreich wurden allein im Jahr 2021 31 Frauen ermordet, ein großer Teil davon von ihnen nahestehenden Männern und – auf einer strukturellen Ebene – auch deshalb, weil sie Frauen waren.
  • Und solange zum Beispiel der Papst – und damit das Oberhaupt einer weltumspannenden und sehr mächtigen Institution – per definitionem nur ein Mann sein kann, brauchen wir Feminismus!

Diese Liste ließe sich – leider – noch lange weiterschreiben. Das sind nur ein paar der Gründe, warum ich Feministin bin und auch weiterhin feministische Kämpfe austragen werde. (In Zukunft nur nicht mehr in der BJV, hier übergebe ich den Staffelstab an die nächste Referentin für Frauen- und Genderpolitik.)

Ein großer Lichtblick für mich ist, dass heute viele junge Feminist*innen diese Kämpfe aufnehmen und weiterkämpfen. Deshalb ist auch die Arbeit im BJV-Frauenkomitee so bereichernd und wichtig. Hier treffen sich Menschen mit diversen Backgrounds und vielfältigen Blickwinkeln, um gemeinsam unterschiedliche Diskriminierungsformen sichtbar und die Welt für marginalisierte und diskriminierte Menschen ein Stück weit besser zu machen. Das BJV-Frauenkomitee wählt dieses Frühjahr wieder ein Sprecherinnen-Team – alle Menschen aus BJV-Mitgliedsorganisationen, die sich als Frauen identifizieren, können dafür kandidieren. Aber auch darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich im Frauenkomitee zu engagieren oder einfach Veranstaltungen zu besuchen. Für eine Zukunft in einer gerechteren Gesellschaft für alle!

Alle Infos zum BJV-Frauenkomitee findest du HIER.

Weitere feministische Facts und BJV-Forderungen findest du im Positionspapier Frauenpolitik.