Zwischen Holocaust-Gesprächen und Zuckerl verkaufen

Arbeiten, wo andere Urlaub machen und dabei soziales Engagement zeigen. Raphael hat den Gedenkdienst anstatt des klassischen Zivildienstes gewählt und erzählt von seiner Zeit im Altersheim „Hogar Hirsch“ in Argentinien.

Es ist Mitte August als ich am Flughafen Eizeza lande und damit das erste Mal argentinischen Boden betrete. Mit exstatischer Vorfreude und einer gesunden Portion Angst hatte ich Österreich verlassen, um mit dem Verein Gedenkdienst meinen Zivildienst im Altersheim Hogar Hirsch in Buenos Aires zu absolvieren. Doch auf was ich mich genau eingelassen hatte, wusste ich an jenem Morgen bis zum ersten Sonnenaufgang über die Stadt, eigentlich noch nicht. Trotzdem, das Abenteuer hatte gerufen!

Jetzt, einige Monate später, bin ich äußerst zufrieden mit meiner Entscheidung. Meine Job-Description hier als Gedenkdienstleistender: Enkelsohn für die Heimallgemeinheit, der sich zwischen Musiktherapie, Bingo, Zuckerl verkaufen, Büroarbeit, Gymnastik und Grillen bewegt. Die Arbeit im Heim erfüllt mich nicht nur, sondern hat mir zusätzlich einen Haufen an neuen Omas und Opas gebracht. Viele von den HeimbewohnerInnen sind Holocaustüberlebende, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und ein neues Leben in Argentinien gefunden haben.

Mit diesem Teil der deutschsprachig-jüdischen Einwohner verbringe ich einen Großteil meiner Zeit. In den vielen Einzelgesprächen, die von tollen Rezepten für Kartoffelsalat, über die Urenkel bis hin zur #metoo Debatte reichen, habe ich nicht nur viel über das Schicksal der flüchtenden Juden gelernt, sondern auch über sie selbst als Menschen. Zusätzlich bieten die Programme für die Patienten des Rehabilitationstraktes und die BewohnerInnen mit diversen psychologischen Problemen ein spannendes Arbeitsfeld.

Natürlich besteht mein Jahr als Gedenkdienstleistender nicht nur aus Arbeit. In meiner Zeit habe ich viele neue Freunde aus aller Welt kennengelernt, was allerdings auch nicht schwer ist in einer Stadt wie Buenos Aires. Allgemein trifft man in Argentinien auf eine sehr offene Kultur, die gegenüber extranjeros (Zuwanderern) interessiert ist. Viele argentinische Eigenheiten habe ich auch schon freudig aufgenommen, wie zum Beispiel das Mate-trinken (ein quasi heilender Prozess).

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass die Zeit in diesem Land rennt, während ich noch hinterher hinke. Kaum zu glauben, dass schon die Hälfte meiner Dienstzeit vorüber ist! Diese Erfahrung will und kann ich jedem empfehlen, der bereit ist sich einer ganz neuen Kultur zu öffnen und das Engagement hat, ein wichtige, interessante und soziale Arbeit zu machen.

Text: Raphael Dombrowski