Als Gedenkdiener in Chile

Bundesheer oder Zivildienst? Weder noch, Clemens hat sich für den Gedenkdienst entschieden, der sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beschäftigt. Für uns berichtet er von seinem Jahr im Altersheim „Baeit Israel“ in Santiago de Chile.

Nach einer Abschiedsfete, herzlichen Umarmungen am Flughafen und schlechten Filmen im Flugzeug komme ich Anfang August endlich in Chile an, um meinen Gedenkdienst anzutreten. Ein Gedenkdienst, den man auch als Zivilersatzdienst anrechnen lassen kann, beschäftigt sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und ist darum bemüht ein kollektives Gedächtnis für die Gräueltaten während der NS-Vernichtungsmaschinerie zu schaffen. Der Verein Gedenkdienst entsendet Gedenkdienstleistende in verschiedene Einrichtungen wie in jüdische -oder Holocaustmuseen, Gedenkstätten oder Altersheime, in denen ZeitzeugInnen leben. Und genau in so einer Einrichtung arbeite ich, im Altersheim Beit Israel, wo ich verschiedenen Tätigkeiten nachgehe.

Zu meinen Aufgaben gehören beispielsweise die Vorbereitung und das Halten von Workshops oder Aktivitäten. Ein Taller (Spanisch für Workshop), das von einem Gedenkdienstleistenden zum anderen weitergetragen wird und somit schon zu einem festen Bestandteil des Programms zählt, ist Stadt-Land-Fluss. Auch wenn sich die Kategorien oder eben die Buchstaben ab und zu ändern, bleiben wir eigentlich bei den immer gleichen Regeln. Hier könnte man nun denken, dass die eine oder die andere Person sich mit der Zeit langweilt, aber falsch gedacht, empört wird sich genug. Jeden Freitag, der Tag an dem auch Shabat gefeiert wird, befinde ich mich um exakt 8:30 Uhr in der heimeigenen Küche und bereite gemeinsam mit Avital eine Unmenge an Teig für die Jala (jüdisch für Brot, das nach der Tradition jeden Shabat gebacken wird) vor, um danach mit den HeimbewohnerInnen das Brot in die Form von Zöpfen zu bringen. Es ist ein Tag, der mir besonders viel Freude bereitet, weil er Tradition, Spaß und das Zusammensein miteinander verbindet. Zusätzlich bin ich für die Bibliothek zuständig, ordne Bücher ein, leihe sie aus und berate die Leute bei ihrer Buchsuche. Zur selben Zeit erlaubt mir die Arbeit in der Bibliothek auch die Geschichte der Juden und Jüdinnen in Chile etwas genauer zu studieren und mehr über die Flucht des NS-Regimes und die Ankunft in Lateinamerika zu erfahren.

Am 27. Jänner ist Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Besonders an diesem Tag zeigt Clemens gemeinsam mit den Heimbewohnern auf, wie wichtig es ist, die Erinnerung aufrecht zu erhalten, denn Geschichte darf nicht Geschichte werden. #weremember

Aber zum wichtigsten Teil meiner Arbeit sehe ich allerdings den direkten Kontakt zu den Menschen, der von Einzelgesprächen, Scrabble oder Domino spielen bis hin zum Begleiten in Krankenhäusern, Einkaufszentren oder chilenischen Behörden variiert. Santiago, eine Stadt, die durch ihre architektonische Willkür, ihrem ständigen Chaos und ihrer Unzuverlässigkeit anfangs nicht wirklich einen guten Eindruck auf mich gemacht hat, ist für mich mittlerweile zu einer Metropole geworden, die direkt in mein Herz vorgedrungen ist und alle anfänglichen Zweifel beseitigt hat. So habe ich gelernt die architektonische Willkür als künstlerische Freiheit, das ständige Chaos als ein liebliches Durcheinander, das immer eine Überraschung bereithält und die Unverlässlichkeit der Leute als flexible Partyeinladungen zu verstehen. Es ist die Mischung aus der Arbeit, die für eine so wichtige Erinnerungskultur sorgt und mich durch die Erfahrungen und Geschichten der AltersheimbewohnerInnen noch mehr anregt gegen Faschismus, Rechtsextremismus und Rassismus anzukämpfen und die Stadt mit ihrer kulturellen Vielfalt sowie der Elan und die Heiterkeit der Leute, die das Jahr als Gedenkdienstleistender unvergesslich machen.

Text: Clemens Schreiber