Land der Berge, Land der Frauenmorde
14 Menschenleben. 14 Frauen. Von Männern ermordet.
Der letzte dieser drei Sätze ist einer, den wir viel zu selten lesen. Er rückt nämlich den Täter in den Mittelpunkt der Diskussion. Wir zählen bereits den 14. Femizid in Österreich in diesem Jahr und sind damit EU-weit trauriger Spitzenreiter. Denn in keinem anderen EU-Land außer in Österreich werden mehr Frauen als Männer ermordet.
Wir leben in einer Welt, in der Frauen Angst haben müssen, von Männern in ihrem nächsten Umfeld erschossen, erstochen oder angezündet zu werden. Den letzten Teil muss man sich zweimal durchlesen: ERSCHOSSEN, ERSTOCHEN oder ANGEZÜNDET! Das wesentliche Problem hierbei ist aber, dass Gewalt an Frauen nicht erst mit ihrer Ermordung anfängt. Gewalt an Frauen ist strukturell in unserer Gesellschaft verankert und beginnt viel früher.
Frauen sind tagtäglich mit sexistischen, frauenverachtenden und objektifizierenden Kommentaren konfrontiert, denen meist ein ungleiches Machtverhältnis zugrunde liegt. Es sind sexistische Kommentare wie „Sexy Outfit hast du da heute an!“, bei denen von Frauen nicht nur erwartet wird, diese kommentarlos über sich ergehen zu lassen, sondern sich auch noch geschmeichelt zu fühlen. Doch es bleibt nicht nur bei verwerflichen Kommentaren, sondern kommt auch oftmals zur sexuellen Belästigung, wenn beispielsweise Männer in der U-Bahn Frauen auf den Oberschenkel greifen und ohne ihre Zustimmung ihren Körper berühren. Die Lebensrealität von Frauen ist es, dass sie nachts am Heimweg jede Minute über ihre Schulter schauen müssen. Aus Angst, dass der nächste männliche Angreifer zuschlägt oder einen sogar vergewaltigt. An jene die sich jetzt denken: „Das ist doch irrational, herbei fantasiert und total übertrieben!“ – Nein, es ist die traurige Realität, in der Frauen leben. Wir müssen aufhören, die Gefühle und Erfahrungen von Frauen zu beschwichtigen und zu “gaslighten”.
Mit Gaslighting wird eine Art der psychischen Gewalt beziehungsweise des Missbrauchs bezeichnet, bei der Stück für Stück das Selbstvertrauen des Opfers zerstört wird. Durch geschickte, über einen längeren Zeitraum angelegte Manipulation, werden Zweifel gesät, so dass das Opfer irgendwann psychisch völlig destabilisiert ist und trotz Fehltritten des Gegenübers denkt, es wäre selbst das Problem. Das passiert zum Beispiel, wenn man bei Frauen, die von einem Mann vergewaltigt wurden, zuerst fragt, was sie denn angehabt haben, anstatt den Mann dafür verantwortlich zu machen.
Doch die wirkliche Wurzel des Problems ist die toxische Männlichkeit und der patriarchale Glaube, dass ein Mann über eine Frau und ihren Körper herrschen könne oder ihn gar besitze.
Umso problematischer ist die Reaktion der derzeitigen Regierung, die versucht die Femizide als Anlass zu nehmen – wie bei vielen anderen innenpolitischen Herausforderungen – eine zutiefst rassistische Frauenpolitik zu betreiben, indem das Problem als “fremd” verortet wird. Der Auftrag der Frauenministerin, eine Studie über „kulturelle Gewalt“ durchzuführen, zeigt auf, dass es nicht nur scheinbar kein aufrichtiges Interesse gibt, das Problem an der Wurzel zu packen. Vielmehr wird versucht, diese Femizide zu kulturalisieren und „Andere“ dafür verantwortlich zu machen. Solch eine Reaktion ist nicht nur zutiefst problematisch, sondern auch eine Verhöhnung der Opfer. Was es stattdessen braucht, sind ernsthafte und anti-rassistische Gewaltschutzmaßnahmen. Es braucht Sensibilisierungskampagnen, um veraltete und patriarchale Männlichkeitskonzepte aufzubrechen.
Bereits seit Jahrzehnten leisten Gewaltschutzorganisationen wichtige Arbeit und fordern eine Erhöhung des Gewaltschutz-Budgets, um den Schutz und die Sicherheit von Frauen gewährleisten zu können. Konkret fordern Frauenvereine 228 Mio. Euro gegenüber einem derzeitigen Frauenbudget von gerade mal läppischen 14,65 Mio Euro. Da kann sich die Frauenministerin Susanne Raab noch so sehr brüsten, dass das Budget um die Hälfte erhöht wurde – ExpertInnen im ganzen Land sind der Meinung: Das ist zu wenig. Notwendig wäre – und gefordert wird – nämlich das etwa 10-fache des derzeitigen Budgets.
Denn die Gewalt an Frauen zu verhindern ist nicht allein die Aufgabe von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern die des Staates. Gewalt an Frauen ist kein Problem der Frauen, sondern eines der Männer und dieses Problem muss an der Wurzel gepackt und bekämpft werden.
Daher fordert die BJV und das Frauenkomitee:
- Umfassende interne und externe Evaluierung der gerichtlichen Spruch- und staatsanwaltlichen Verfolgungspraxis im Bereich der Sexualdelikte
- Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutzzentren sowie eine rasche Wiedereinführung der Fallkonferenzen, welche unter Türkis-Blau gestrichen wurden
- Im Bereich von Sexualdelikten soll zusätzlich zu Geld- und Haftstrafen die Möglichkeit der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Täterprogramm vorgesehen werden.
- Der Zugang der betroffenen Frauen zum Recht muss verbessert, Opferrechte müssen ausgebaut werden. Das bedeutet z.B
- die Schaffung eines Opferhilfegesetzes zur rechtlichen, sozialen und finanziellen Unterstützung von Gewaltopfern
- Vertretungsrecht von Opferschutzeinrichtungen bei Gericht
- Recht der Opfer von Gewalt, über ihre Rechte und Hilfseinrichtungen sowie von einer etwaigen Entlassung des Täters aus der Haft informiert zu werden (z.B. durch entsprechende gestaltete Formblätter der Gerichte)
- Verpflichtende Verankerung des Themas Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Ausbildung der Justizberufe und über die Ausbildung hinausgehende verpflichtende Schulungen für Justiz und Polizei hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung.
- Verpflichtende Antigewalttrainings für Gefährdende.
- Vermehrte Gewaltpräventionsworkshops und -arbeit in Schulen.
- Verstärktes Augenmerk auf Formulierungen in der medialen Berichterstattung. Aktive statt passiven Formulierungen im Kontext mit Gewalt (“Mann ermordet” anstelle von “Frau wurde ermordet”). Mord ist kein “Beziehungsdrama”.
Alle weiteren frauenpolitischen Forderungen der BJV findest du HIER.