Gewalt an Frauen ist nicht nur ein Frauenthema

Am 13. Jänner 2023 veranstaltete das Frauenkomitee eine gut besuchte Buchbesprechung mit Autorin Yvonne Widler zu ihrem Buch „Heimat bist du toter Töchter“. Über 40 Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Jugendorganisationen waren dabei.

 

Großer Anklang bei BuchpräsentationYvonne Widler ist eine österreichische Journalistin und Autorin, welche mit dem Dr. Karl-Renner-Publizistikpreis und Prälat-Ungar-Preis ausgezeichnet wurde. Ihr Buch „Heimat bist du toter Töchter“ ist im September 2022 beim Verlag Kremayr & Scheriau erschienen. Darin beschreibt sie die traurige Wahrheit, dass Österreich ein „Land der Femizide“ ist. Das zeigen auch die Zahlen: von 2010 bis 2020 haben Partner und Ex-Partner 319 Frauen ermordet.

Angesichts dieser Tatsache geht die Autorin folgenden Fragen nach: Wer sind die Täter und was haben sie gemeinsam? Wo liegen die Wurzeln der Misogynie in Osterreich? Welche Verantwortung tragen Medien in all dem? Wo soll man im Kampf gegen systemische Gewalt gegen Frauen ansetzen? Und welche Maßnahmen können von Ländern wie Spanien übernommen werden?

Um diese Fragen zu beantworten, werden die Geschichten von getöteten und überlebenden Frauen erzählt und auch Expert*innen kommen zu Wort. Im Buch gibt die Autorin den getöteten Frauen zurück, was ihnen auf brutale Weise genommen wurde: ihre Stimmen.

Die Buchbesprechung des Frauenkomitees fand in der feministischen Buchhandlung O*Books statt. Nach einleitenden Worten von Aysenur Sümer, Sprecherin des Frauenkomitees der BJV, übernahm Hannah Pühringer, Stellvertretende Sprecherin, die Moderation und begleitete gekonnt durch das Gespräch. Die 1,5 Stunden Gespräch vergangen wie im Flug.

Hier einige Beispiele der besprochenen Themen:

  • Das Thema Femizide ist ein strukturelles Problem, welches durch patriarchale Verhältnisse entsteht. In Österreich sind die meisten Frauenmorde Intimizide, d.h. die Täter sind (Ex-)Partner von Frauen. Diese Beziehungen finden nicht auf Augenhöhe statt. In erster Linie müssen Gewaltbeziehungen verhindert werden, denn i.d.R. gehen Femiziden Gewalt in der Beziehung voraus, die mit der ersten Demütigung beginnt.
  • Auf der Metaebene gesehen ist eine wichtige Maßnahme, in der Gesellschaft, in Kindergärten und Schulen anzusetzen, Rollenbilder aufzubrechen und vor allem männlichen Kindern und Jugendlichen mehr positive Vorbilder zu bieten. Einerseits sollten Mädchen und Frauen empowert werden und emanzipatorisch erzogen werden. Beispielsweise können viele Frauen Gewaltbeziehungen nicht verlassen, weil sie sich ein eigenes Leben nicht leisten können oder sie trauen sich zwar zur Polizei zu gehen, werden dann aber nicht ernst genommen. Andererseits sollten auch Männer sensibilisiert und dazu angehalten werden, patriarchale Denkmuster zu durchbrechen. Eine Studie zeigt beispielsweise, dass Männer, die mehr Care Arbeit leisten, weniger gewalttätig sind.
  • Die mediale Berichterstattung hat sich in den letzten Jahren verbessert. Oft werden jedoch Angehörige der ermordeten Frauen, oder Frauen in Gewaltbeziehungen vergessen. Zu verachten ist es vor allem dann, wenn Täter heroisiert oder Ausreden für die Tat gesucht werden. Ein anderes Problem ist die rassistische Instrumentalisierung von Femiziden. Ausschlaggebend ist nicht der Background, sondern das dahinterstehende, patriarchale Muster. Andrea Brem, Leiterin der Wiener Frauenhäuser sagt: „Jede Frau kann Opfer eines Femizids werden. Es ist der Mann, der entscheidet sie zu ermorden. Ihre Persönlichkeit ist irrelevant.“
  • In ihrem Buch kritisiert die Autorin auch die Politik und die zuständige Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration, welche sich nicht klar und zeitnah zu den Femiziden geäußert hätte. Die Politik muss das Thema der Gewalt gegen Frauen in die Hand nehmen. Ein Blick auf Spanien zeigt wie Gewaltschutz aussehen kann. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden, sondern Österreich kann anderswo gesetzte Maßnahmen adaptieren und umsetzten. Ein Beispiel hierfür ist eine Beobachtungsstelle für Gewalt und Femizide, wo auch Daten zu den Tätern erhoben und analysiert werden. Solch eine Statistik würde es schaffen weg von der Einzelberichterstattung hin zur Analyse zu gehen, dadurch können neue Maßnahmen implementiert werden.
  • Als inhaltlicher Abschluss wurde mit dem Publikum diskutiert, welche Rolle Jugendarbeit dabei einnehmen kann, Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu verhindern. Als niederschwelliger und freiwilliger Begegnungsort eröffnet die Kinder- und Jugendarbeit zahlreiche Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und kann daher einen wesentliche Beitrag leisten, diese kritisch zu hinterfragen, aufzubrechen und dabei wichtige Sensibilisierungsarbeit zu leisten, die präventiv gewalttätigen Verhaltensmustern entgegenwirkt.

Großer Anklang bei BuchpräsentationZum Abschluss gab es in Begleitung von Snacks und Getränken Raum für Austausch und zum Vernetzen. Auch konnten die Teilnehmer*innen das Buch erwerben und gleich signieren lassen.

Das Buchgespräch zu „Heimat bist du toter Töchter“ mit Yvonne Widler hat gezeigt, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Gewalt an Frauen und Femizide auseinanderzusetzen. Jedes Mädchen und jede Frau bzw. jede FLINTA Person, egal mit welchem sozioökonomischen oder kulturellen Background kann von Gewalt betroffen sein. Deshalb braucht es seitens der Politik mehr Engagement, mehr Ressourcen und mehr Maßnahmen. Hinsichtlich Prävention kann die Jugendarbeit viel bewirken, denn Sensibilisierungsarbeit und das Aufbrechen von patriarchalen Rollenvorstellungen müssen bereits im jungen Alter beginnen.

Gewalt an Frauen ist nicht nur ein Frauenthema, sondern vor allem ein Männerthema.