Als Gedenkdiener in Auschwitz

Ein Bericht von Emil Neuber über sein Jahr als Gedenkdiener in Auschwitz.

Oświęcim – eine Kleinstadt mit rund 40.000 EinwohnerInnen im Süden Polens. An sich wirklich nichts Spezielles, würde ich mal sagen. Zwar nicht immer sonderlich spannend, aber auch nicht „voll schlimm“, geschweige denn depressiv machend. Fährt man mit dem Auto durch Oświęcim, so fällt einem auf den ersten Blick wohl die Unzahl an Kreisverkehren auf. Es sind mindestens 10, vielleicht auch 15, habe sie nicht gezählt.

Was es dort sonst gibt? Plattenbauten, wie man sie im Kopf hat, wenn man an „den Osten“ denkt. Dazu ein paar Geschäfte links und rechts entlang der Hauptstraße. Lidl, Aldi und wie sie alle heißen, kennt man ja von zu Hause. Und einen neu gestalteten Hauptplatz gibt es in Oświęcim, der ist auch ganz nett. Polen ist ein durchaus streng katholisch geprägtes Land, dementsprechend stehen in Oświęcim auch einige Kirchen, die nicht nur sonntags gut besucht sind. Einen Bahnhof findet man auch hier und zwar, wenn man beim McDonalds links abbiegt und am Shopping Center geradeaus vorbeifährt.

Emil (links mit Hut) beim March of the Living gemeinsam mit dem Auschwitz-Überlebenden Marko Feingold und dessen Frau. Dabei begleitet wurden sie von über 600 Jugendlichen aus ganz Österreich.

Jedoch gibt es auch laute Kritik, vor allem von internationalen Stimmen: Das ist kein Ort zum Shoppen und Fast-Food-Lokale haben hier schon gar nichts verloren. „No place for McD in Oswiecim! Locating this so-called Restaurant in that kind of city is a kind of joke“, schreibt etwa ein britischer Tourist bei Tripadvisor. Doch wieso? Klar, fettige Pommes und labbrige Burger sind sicherlich keine Speisen für Gourmets, geschweige denn gesund, dennoch verirre selbst ich mich selten, aber doch, dorthin. Weshalb soll das also hier nichts verloren haben? Der Grund dafür liegt über 70 Jahre zurück. Er kommt aus einer Zeit, in der es kein Oświęcim gab. Damaliger Name der Stadt: Auschwitz. Und das ist natürlich ein Begriff. Und jetzt kommen die Fragen:

„Wie kannst du dort leben?“, „Ist das nicht voll schlimm?“, „Wird man da nicht depressiv?“

Wie kein anderer Ort steht Auschwitz (und wir reden jetzt hier von Auschwitz zur Zeit der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945 und nicht dem heutigen Oświęcim) für die Gräueltaten des Nationalsozialistischen Regimes. Wie kein anderer Ort steht Auschwitz als Sinnbild des Holocaust für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Tod und Verderben. War es doch genau hier, an diesem Ort. An dem Ort, wo ich nun sitze und auf den Tasten meines Laptops herumtippe, wo Millionen auf menschenverachtendste Weise behandelt und ermordet wurden. Was habe ich an solch einem grauenhaften Ort dann überhaupt zu suchen? Ganz einfach: Ich versuche, mein Bestes zu geben, dass sich solch ein Ereignis niemals wiederholt. Klingt einfach, ist es nicht.

Hoher Besuch in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (v. links n. rechts): Andrzej Tombiński (österr. Honorarkonsuls aus Krakau), GedenkdienerInnen Emil und Ines, Werner Almhofer (österr. Botschafter aus Warschau) sowie Rupert Weinmann (Direktors des Österreichischen Kulturforums Warschau)

Ich arbeite in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim, einer Art Jugendherberge mit pädagogischer Ausrichtung. In erster Linie rede ich hier mit jungen Menschen, die zwischen 14- und 17 Jahren alt sind. All jene, die zu uns kommen, haben diese Zeit weder miterlebt, noch in zweiter Generation gespürt. Warum also erzählen, warum also das Thema nicht „ruhen lassen“, wie es viele fordern? Die Narbe, die durch den Nationalsozialismus in unserer Gesellschaft hinterlassen wurde, ist zu tief, als dass man sie von selbst zuwachsen lassen kann. Das wird sie nie, dafür ist die Thematik auch heute noch zu aktuell. Oder ist sie mittlerweile wieder aktuell? Wie verhindert man Ausgrenzung? Wie tritt man Hass und Hetze entgegen? Was kann man gegen einen widererstarkenden Rechtsextremismus machen? Aber auch: Was ist überhaupt dieser „Rassismus“? Was ist überhaupt dieser „Antisemitismus“? Wer nach einer Woche dann Oświęcim wieder verlässt, nimmt viel mit, das steht fest.

Ein mancher erinnert sich an die ausgeprägte jüdische Kultur in Polen vor dem Holocaust. Ein anderer wieder an die abscheulichen Bedingungen unter denen Menschen hier leben mussten. Andere wiederum erinnern sich an das eine oder andere Einzelschicksal. Doch eines sollte sich jeder Mensch, der diesen Ort verlässt, denken: Nicht mit mir! Das ist meine Motivation, deshalb bin ich hier!

„Ja, ich kann hier leben.“ „Nein, das ist nicht voll schlimm.“„Nein, man wird hier nicht depressiv.“

Doch irgendwas ist trotzdem „anders“ hier.

Text: Emil Neuber