Corona: Kindeswohl als Kollateralschaden?

Welche Auswirkungen haben die Corona-Maßnahmen auf Kinder und welche Herausforderungen stellen sich für sie? Wird der Bruch mit Kinderrechten in Kauf genommen? Und worauf sollte bei der Rückkehr in den Alltag im Sinne der Kinder geachtet werden.

Ein Kommentar von Caroline Pavitsits, Vorsitzende und Nicole Pesendorfer-Amon, Referentin in der Bundesjugendvertretung.

Die Corona-Krise verlangt der gesamten Gesellschaft vieles ab. Zweifellos manchen mehr als anderen. Doch während Erwachsene die Gründe für die Einschränkungen rational erfassen können, fällt dies Kindern oft schwer, für viele ist es altersbedingt nicht möglich.

Wir sollten uns fragen, was es für Kinder bedeutet: Wenn von einen Tag auf den anderen Kindergarten oder Schule wegfallen, der persönliche Kontakt zu FreundInnen, Verwandten und Großeltern völlig aufgelöst wird. Wenn sie Spielplätze nicht mehr betreten dürfen und zu Hause bleiben müssen. Wenn wir unsere Gesichter mit Masken bedecken. Wenn sie vielleicht beiläufig mitbekommen, dass sie ein enormes Gesundheitsrisiko für Oma und Opa sein könnten. Für Kinder wirft das viele Fragen auf, die sie gegenüber Erwachsenen nicht artikulieren können und die für sie daher unbeantwortet bleiben.

Besonders dramatisch ist die Situation für diejenigen, deren zu Hause kein Zufluchtsort ist oder deren Eltern jetzt besonders unter dem Druck der Krise leiden. Schon seit Wochen gibt es kaum Kontakt zu Außenstehenden, die Gewalt oder Leid von Kindern innerhalb ihrer Familien erkennen oder Familien unterstützen könnten. Das Risiko für Gewalt in den eigenen vier Wänden steigt leider in der Corona-Quarantäne enorm an. Auch Anfragen bei der Hotline Rat auf Draht haben gleich zu Beginn um 30 Prozent zugenommen.

Viele Kinderrechte, für dich sich die Bundesjugendvertretung immer stark macht, wurden von einem Tag auf den anderen abgeschrieben. Trotz 30-jährigem Jubiläum im Jahr 2019, wo es noch allerlei politische Versprechen gab, diese Rechte hochzuhalten. Aber was ist jetzt mit dem Recht auf Spiel und Freizeit, dem Recht auf Bildung, Gesundheit oder gewaltfreies Aufwachsen?

Großer Spagat in den Familien

Die Corona-Krise hat den Alltag in Familien massiv verändert: Während die Belastungen abrupt angestiegen sind (finanzieller und psychischer Druck, Home Schooling, Home Office oder Arbeiten mit Gesundheitsrisiken), brachen Unterstützungsleistungen völlig weg. Gerade AlleinerzieherInnen waren auf einmal gänzlich auf sich allein gestellt. Bewährte Netze sind gezwungenermaßen gerissen. Wenn dann in Regierungspressekonferenzen davon gesprochen wurde, dass Kindergärten die ganze Zeit geöffnet waren und alle Eltern, die es mit ihren Kindern „nicht mehr aushalten“, diese ja schicken könnten, verkannte man die Realität dieser Familien. Mit diesem Wording passierte auch in Bezug auf Kindergärten eines: Diese wurden zu „Betreuungsstätten“ degradiert, die man nur benötigt, wenn man „es nicht schafft, sich alleine um seine Kinder zu Hause zu kümmern“. Deren essentieller Bildungsauftrag im Bereich der Elementarpädagogik wurde damit in den Schatten gestellt.

Gleiche Rechte für alle Kinder?

Große Differenzen im Wohlergehen von Kindern, die sich aus den unterschiedlichen Lebenssituationen ergeben, verstärkten sich nun umso mehr. Besonders prekär: Während sich einige mittels Home Office gänzlich zurückziehen konnten, wurde bei Berufsgruppen, die wir als Gesellschaft offenbar brauchen, gar nicht diskutiert, ob sie zu Hause bleiben dürfen. So waren auch manche Eltern und deren Kinder einem deutlich größeren Gesundheitsrisiko ausgesetzt als andere. Während man sich so lange gegen das Öffnen der Kindergärten und Schulen gesträubt hat, wurde diese Tatsache nicht in Frage gestellt, sondern einfach in Kauf genommen. Der Grundsatz von gleichen Rechten für alle Kinder wurde an dieser Stelle völlig ausgesetzt.

Erklärungsbedarf

Die Maßnahmen, welche die Regierung gesetzt hat, haben uns derzeit vor einer dramatischen Gesundheitskrise bewahrt. Die Verantwortlichen haben dabei auch die Chance genutzt, regelmäßig vor die Medien zu treten. In Bezug auf Kinder bleiben dennoch Kommunikationsversäumnisse bestehen. Während manche Bereiche, wie Sport oder der Besuch von Baumärkten oder Gastronomie auf Punkt und Beistrich erklärt wurden, hat man Themen wie Kindergärten oder Spielplätze in den Pressekonferenzen meist außen vor gelassen.

Behutsame Rückkehr in den Alltag

Bei der schrittweisen Rückkehr in den Alltag dürfen die Bedürfnisse von Kindern nicht ausgeklammert werden. Bei den Schul- und Kindergartenöffnungen dominieren derzeit das Gesundheitsthema und die Minimierung von Ansteckungsgefahren. Wir verweisen jedoch eindringlich darauf, dass die Schritte behutsam umgesetzt werden müssen, und zwar auch im Sinne des Kindeswohls. Wenn sich Kleinkinder bei ihrer Rückkehr in den Kindergarten nach dieser langen Zwangspause auf einmal bereits vor der Eingangstüre von ihren Eltern verabschieden müssen, sie aufgrund von Gruppenaufteilungen in anderen Räumen als davor betreut werden, kann das weitere Belastungen mit sich bringen. Wenn PädagogInnen auf einmal Gesichtsmasken tragen, ist das für Kinder nicht einzuordnen.

Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen dürfen wir jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Kinder brauchen ein gutes Auffangnetz und besondere Unterstützung, um die aktuelle Situation gut zu meistern und auch den Übergang in den neuen Alltag zu schaffen, beispielsweise was die Schule betrifft. Strafen für versäumte Schultage oder Notendruck wären dabei ein ganz falscher Weg.

Und noch immer hätte die Regierung die Gelegenheit, bei einer ihrer zahlreichen Pressekonferenzen gezielt Kinder und Jugendliche anzusprechen. Andere Länder wie Finnland haben dies vorgemacht. Vergessen wir nicht auf eine ganze Generation, die diese Krise stark überfordert und für Jahre prägen wird. Das Wohl der Kinder darf niemals als Kollateralschaden geopfert werden.