Frauenrechtsaktivismus im Libanon

Libanon – ein Land, in dem die Situation von Frauen in unseren Medien und von der Politik zu oft auf Unterdrückung reduziert wird. Umso spannender sind die Eindrücke von EYD Sophie aus Beirut, wo sie einer Vielzahl von FrauenrechtsaktivistInnen aus der arabischen Welt begegnete.

Ende März durfte ich an einem dreitägigen Training zum Thema „Advocating for Gender Equality and Women’s Rights“ teilnehmen, welches vom lokalen UNESCO-Büro (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation) in Beirut (Libanon) veranstaltet wurde.

Schon im Vorhinein machte sich in mir große Neugierde breit – Beirut bzw. den Libanon kannte ich bis dahin nur aus den Nachrichten. Einerseits von Berichten über zahlreiche Konflikte, die im Libanon bis zum Jahr 2006 auf der Tagesordnung standen. Andererseits aus Nachrichten von überfüllten und unterfinanzierten Flüchtlingslagern, von denen es im Libanon sehr viele gibt. Immerhin hat der Libanon mehr als eine Million syrische Geflüchtete aufgenommen und zählt daher international gesehen zu den größten Aufnahmeländern von Flüchtlingen. In einem Land, in dem die gesamte Bevölkerung zwischen 4 und 5 Millionen geschätzt wird, ist diese Zahl beachtlich. Flüchtlinge machen im Libanon also zwischen 17 und 20% der Gesamtbevölkerung aus. Zum Vergleich: in europäischen Staaten machen Flüchtlinge oder Asylsuchende derzeit ca. ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Wie mit Frauen- und Genderthemen im Libanon umgegangen wird, wusste ich bisher wenig. Zu oft wird die Situation von Frauen in Ländern der arabischen Welt in unseren Medien und Politik auf die Unterdrückung dieser reduziert – und dabei bottom-up Initiativen und die Arbeit zahlreicher Frauenrechtsaktivist*Innen dieser Länder vollkommen außer Acht gelassen. Genau deshalb war der Aufenthalt für mich besonders spannend: das Treffen war geprägt vom Austausch mit motivierten, von Veränderungsgedanken angetriebenen jungen Frauen und Männern, großteils aus dem arabischen Raum. Sie setzen sich für Geschlechtergerechtigkeit ein, sehen Frauenrechte als Menschenrechte an und versuchen täglich Genderstereotype aufzubrechen. Dabei waren die Lebensrealitäten und Tätigkeitsbereiche der diversen Teilnehmer*Innen sehr unterschiedlich.

Ich lernte Libanesinnen kennen, die sich für die Anhebung des gesetzlichen Mindestalters für Ehen einsetzen, um Kinderehen zu verhindern. Ich traf eine Palästinenserin, die Radiobeiträge zu Frauenrechten und Genderthemen gestaltete, um mehr Aufmerksamkeit auf diese Themen zu lenken und ich hörte den Geschichten einer jungen Jordanierin zu, die sich in für die Rechte von LGBTQI Personen einsetzt, welche häufig mit vielfältigen Diskriminierungen zu kämpfen haben. All diese Personen sind Beispiele für aktive und selbstbestimmte junge Menschen, die sich für mehr Gerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen einsetzen. Unter den Teilnehmenden herrschte der Konsens, dass die Gleichheit der Geschlechter als Voraussetzung für eine friedliche, nachhaltige Zukunft erreicht werden muss.

Neben diesem spannenden Austausch gab es natürlich auch inhaltlichen Input. Der Fokus wurde auf Advocacy-Arbeit im Bereich Frauenrechte und Genderarbeit gelegt. So wurden die Teilnehmer*Innen einerseits mit theoretischen Instrumenten der Advocacy-Arbeit ausgestattet, mit Tipps und Tricks also, wie man z.B. eine wirksame Kampagne aufzieht. Andererseits gab es auch Inputs aus der Praxis. Eine Vertreterin der im Libanon tätigen NGO ABAAD teilte ihre Erfahrungen einer erfolgreichen Advocacy Kampagne mit uns. Im Jahre 2016 startete die NGO eine Kampagne namens „A White Dress Doesn’t Cover the Rape“. Laut dem libanesischen Gesetz kamen nämlich Vergewaltiger straffrei davon, wenn sie die Frauen, die sie vergewaltigt hatten, anschließend heirateten. Dieses grausame Gesetz existiert in mehreren Ländern der arabischen Welt, wurde jedoch in einigen Ländern schon abgeschafft. Durch öffentlich-wirksame Aktionen, Petitionen, Dialoge mit Entscheidungsträger*Innen und den Einsatz kreativer Methoden gelang es der NGO innerhalb einiger Monate, den Artikel 522 aus dem libanesischen Strafgesetz zu streichen.

Diese spannenden und lehreichenen Tage wurden außerdem mit täglichen Spaziergängen durch Beirut und den Genuss libanesischen Essens versüßt. Ich lernte Beirut als Ort der Widersprüche kennen, als Stadt, die sich mit unzähligen Adjektiven beschreiben lässt: Als bunt habe ich die Stadt wahrgenommen, weil so viele Menschen verschiedener Kulturen, Religionen und Herkunft aufeinandertreffen. Unterschiedlich habe ich die vielen Ecken der Stadt empfunden, weil die verschiedensten Baustile zwischen alt und neu, traditionell und modern vertreten sind. Tragisch, weil zerbombte und kaputte Häuser in vielen Teilen der Stadt an die gewaltvolle Vergangenheit erinnern lassen. Und rätselhaft, weil sich hinter jeder Fassade unzählige Geschichten verstecken.

Insgesamt würde ich meinen Aufenthalt als eindrucksvoll und interessant beschreiben, und die vielen neuen Menschen, Geschichten, Gerüche, Geschmäcker und Perspektiven werden mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Text: Sophie Hammer