Warum wir die Gendermedizin brauchen

Manchen ist es schon lange ein Begriff, für andere wiederum ist es ganz neu: Gendermedizin. Teresa Sihler vom erweiterten BJV- Frauenkomitee hat zusammengefasst, was Gendermedizin ist und warum wir uns alle für eine gendersensible medizinische Versorgung einsetzen sollten.

Was ist Gendermedizin überhaupt?

Viele Faktoren haben einen Einfluss auf Erkrankungen, medizinische Behandlungen und Forschung. Ein besonders großer Faktor ist dabei das Geschlecht. Die Gendermedizin beschäftigt sich daher mit dessen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit. Dabei geht es nicht nur um das biologische Geschlecht, sondern auch um psychische, soziale, institutionelle und kulturelle Einflussfaktoren.

Aber wozu braucht es das? Einerseits führen die biologischen Voraussetzungen eines Geschlechts dazu, dass wir unterschiedliche körperliche Bedürfnisse haben. Andererseits kommen noch geschlechtsspezifisch angelernte Verhaltensweisen oder Umgangsarten hinzu. Diese manchmal offensichtlichen teilweise subtilen und in vielen Bereichen noch kaum bekannten Unterschiede haben aber oft einen großen Einfluss auf die Erfahrungen und Ergebnisse im Zuge einer Krankheit.

Der Herzinfarkt ist ein oft genanntes Beispiel: Bei Männern sind die Symptome wie Engegefühl und starker Brustschmerz weitläufig bekannt. Dass die Anzeichen aber bei einem Großteil der Frauen ganz anders aussehen – Übelkeit, Müdigkeit, Schwindel, Schmerzen zwischen den Schulterblättern – ist weder in der Gesellschaft, oft aber auch im medizinischen Bereich nicht geläufig. Viele Ärztinnen und Ärzte oder auch Krankenpfleger*innen sind sich dieser geschlechtsspezifisch verschiedenen Symptome leider immer noch nicht bewusst. Dies führt dazu, dass im Notfall oft wertvolle Zeit verloren gehen kann.

Im Bereich der mentalen Gesundheit suchen Männer wiederum viel seltener Hilfe bei Therapeut*innen und Psychiater*innen. Ein weiterer Aspekt in der Gendermedizin ist, dass Frauen öfter mit Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen haben und ihre Anliegen von medizinischem Personal nicht ausreichend ernst genommen werden. Hierbei spielen natürlich andere Faktoren, wie Ethnie, Hautfarbe oder soziale Herkunft oft auch eine große Rolle.

Frauen werden in der Forschung oft vergessen

In der Medizin galt der Mann noch bis vor kurze Zeit als die Norm. Es wurde und wird an den Körper von Männern geforscht, Medikamente auf sie abgestimmt, ihre Symptome katalogisiert und analysiert. Dass Frauen aber oft andere körperliche Voraussetzungen haben, sich Krankheiten anders bei ihnen äußern und Medikamente anders anschlagen, wurde lange Zeit nicht beachtet.

Ein weiteres Argument war leider ebenso die Kostenfrage in Bezug auf den weiblichen Zyklus.  In medizinischen Forschungsreihen wurde auf Frauen als Probandinnen verzichtet, da diese – so die Argumente – aufgrund des Zyklus keine verlässlichen Werte liefern würden. Dass damit aber die Hälfte der Bevölkerung nicht in den Ergebnissen aufscheint, wurde außer Acht gelassen. Dies zeigt sich auch an der strukturellen Unterrepräsentation von Frauen in Medikamententests, wodurch Frauen öfters an mehr Nebenwirkungen leiden.

Gendermedizin in Österreich

Der Bereich der Gendermedizin ist leider ein relativ neues Forschungsfeld. An der Universität Wien gibt es erst seit 2010 eine Professur für Gendermedizin. Diese erforscht die biologischen und psychosozialen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sowohl das Gesundheitsbewusstsein, als auch die Entstehung und Wahrnehmung von Krankheiten, sowie den Umgang damit betreffen. Das Ziel ist neue Erkenntnisse auch in den klinischen Alltag zu bringen, um somit eine männer- und frauengerechte optimierte Behandlung garantieren zu können. In Innsbruck gibt es eine Gender Medizin & Diversity Unit, die den Aufbau einer geschlechterbezogenen Forschung und Lehre forciert.

Welche Veränderungen braucht es?

Die Bundesjugendvertretung hat gemeinsam mit dem Frauenkomitee verschiedenste Forderungen im Bereich Medizin und Gender im Frauenpositionspapier 2020 aufgestellt.

Wir fordern:

  • Förderung von medizinischer Wissenschaft in Bezug auf frauenspezifische Themen und Unterschiede, um den Gender Bias in der Medizin zu verringern
  • Gezielte Förderung und ausreichende Finanzierung von Forschung im Bereich Gendermedizin
  • Sensibilisierung angehender Mediziner*innen sowie Ausbau und Förderung der medizinischen Forschung im Bereich Intersexualität
  • Abkehr vom binären Modell der Krankenkassen und Abbau von bürokratischen Hürden, bspw. bei Gynäkolog*innen.
  • Schulung und Bewusstseinsbildung bei Angehörigen von Gesundheitsberufen sowie Verhängung von Disziplinarstrafen und Berufsverboten bei Missachtung des gebotenen Umgangs mit Betroffenen von Sexualdelikten

Frauen und ihre spezifischen Bedürfnisse dürfen nicht mehr als Abweichung von der Norm gesehen werdern. Daher braucht es endlich eine gendersensible medizinische Ausbildung, Forschung und Versorgung!