Klima & Gender – es muss viel mehr passieren!

Romana Greiner, Sprecherin des Frauenkomitees der BJV, im Gespräch mit der Klimaaktivistin Klara Butz über den Gender-Aspekt der Klimakrise, den Frauenanteil bei Fridays for Future und vergessliche Politiker*innen.

Klima & Gender - es muss viel mehr passieren!

Klara Butz studiert Meteorologie im Master und ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future und in der Tschechischen Volksgruppe aktiv.

Romana Greiner: Hand auf’s Herz, Klara, du als Meteorologie-Studentin und Fridays For Future – Aktivistin kannst uns sicher sagen: Ist die Welt noch vor der Klimakrise zu retten?

Klara Butz: Wir befinden uns schon mitten in der Klimakrise. Wir spüren die Folgen ja heute schon. Sei es durch Hitzewellen oder durch Kältewellen, wie z.B. im Februar in Texas. Das heißt, wirklich vor der Klimakrise retten können wir uns nicht mehr, wir können aber die Folgen abschwächen. Und das ist ein extrem wichtiger Teil, weil wir trotzdem noch in der Hand haben, wie schlimm diese Krise wird. Da kommt es vor allem darauf an, wie viel CO2 wir in die Atmosphäre schleudern oder wann beispielsweise Kohlekraftwerken ein Ende bereitet wird. Diese Entwicklungen haben einen wesentlichen Einfluss darauf, ob wir die Erderhitzung auf 1,5 Grad stabilisieren können oder eher in Richtung 3 – 4 Grad steuern und damit die Krise noch fataler wird.

Romana: Man hat in der gesellschaftlichen Debatte oft nicht das Gefühl, dass wirklich etwas weitergeht – obwohl es das Pariser Klimaabkommen gibt. Warum ist das 1,5 Grad-Ziel, das vor mittlerweile mehr als 5 Jahren in diesem Abkommen beschlossen wurde, so wichtig? Warum müssen wir unter allen Umständen unter der +2 Grad-Grenze bleiben und eben nicht Richtung + 3-4 Grad hochgehen?

Klima & Gender - es muss viel mehr passieren!

Romana Greiner ist Sprecherin des BJV-Frauenkomitees und ist angehende Sprachlehrerin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache.

Klara: Das 1,5 Grad Ziel wurde beim Pariser Klimaabkommen vor allem von Inselstaaten befürwortet – weil diese Inseln ohne die Einhaltung dieser 1,5 Grad ganz einfach untergehen würden. Das Ziel ist also, DEUTLICH unter 2 Grad zu bleiben. Auch zwischen diesen zwei Zahlen gibt es einen großen Unterschied – der besteht beispielsweise darin, wie oft wir tödliche Hitzewellen erleben werden. Wenn wir die Erhitzung nicht auf unter 2 Grad beschränken können, wird es alle 2 bis 3 Jahre Hitzewellen geben, die früher durchschnittlich nur alle 20 Jahre aufgetreten sind.

Das heißt, bei 1,5 Grad ist die Arktis im Durchschnitt alle 100 Jahre eisfrei. Wenn wir die Erde um 2 Grad erwärmen, dann haben wir alle 10 Jahre eine eisfreie Arktis. Das zeigt auch, dass diese Vorgänge nicht einfach linear verlaufen, sondern dass das sehr wohl auch deutlich andere Effekte hat. Bei 1,5 Grad haben wir zumindest noch ein paar Korallenriffe und eine höhere Artenvielfalt, bei 2 Grad sind Korallenriffe ausgestorben. Das bedeutet: Bei 1,5 Grad ist der Planet höchstwahrscheinlich noch in einem halbwegs stabilen Zustand. Bei stärkeren Erhitzungen können wir das nicht erwarten – dafür gibt es viel zu viele selbstbeschleunigende Prozesse, die die globalen Temperaturen unaufhaltsam weiter in die Höhe treiben werden.

Romana: Jetzt könnte man eigentlich auch sagen: „Was interessieren mich in Europa Korallenriffe oder eine eisfreie Arktis? Hier ist ja eh alles gut…” Dabei handelt es sich aber um einen Trugschluss, oder?

Klara: Wir spüren auch in Europa, das die Winter insgesamt milder werden. Gleichzeitig gibt es aber auch mehr Extremwetterereignisse. Das bedeutet, dass wir auch in Europa damit rechnen müssen, dass nicht jeder Sommer super schön wird und nicht jeder Winter eiskalt und mit viel Schnee. Konkret äußert sich das in Schwierigkeiten für die Landwirtschaft. Ein milder Winter heißt: Mehr Schädlinge im nächsten Frühjahr. Mehr Wärmeperioden oder heißere Sommer bedeuten automatisch mehr Hitzetote.

Im Sommer 2003, als es bei uns diese Hitzewelle gab, sind allein in Europa 70.000 Menschen daran gestorben. Verglichen mit der Corona-Krise sind das zwar zahlenmäßig weniger Tote, man muss aber bedenken, dass es sich hier nur um einen einzigen Sommer und nicht um ein gesamtes Jahr handelt!

Ein weiterer Aspekt der Klimakrise ist, dass der Meeresspiegel ansteigen wird und somit viele Küstenregionen nicht mehr bewohnbar sein werden. Wenn z.B. die Stadt Alexandria untergeht, und das wird sie, wenn wir unsere Emissionen nicht drastisch bremsen, dann wird der Lebensraum von Millionen von Menschen verloren gehen. Das wird dann enorme Migrationsströme zur Folge haben, die voraussichtlich viel stärker als die Migrationsbewegung ab 2014/15 sein werden. Langfristig müssen also mehr Menschen auf weniger Platz miteinander auskommen – und das klappt ja jetzt schon mehr schlecht als recht.

Romana: Corona hat uns gezeigt, dass große gesellschaftliche Krisen vor allem die schwächsten Glieder in unserer Gesellschaft treffen. Das sind, wie wir gesehen haben, oftmals Frauen, die in Branchen wie dem Tourismus oder der Gastronomie ihren Arbeitsplatz verloren haben oder als Systemerhalterinnen unsere Gesellschaft am Laufenden halten und die Krise stemmen mussten.

Inwiefern und warum wird auch die Klimakrise vor allem Mädchen und Frauen stärker treffen?

Klara: Grundsätzlich ist es durch die sozialen Konstrukte, die wir haben so, dass Frauen und Mädchen sozioökonomisch schwächer sind beziehungsweise zu den ärmeren Schichten unserer Gesellschaft zählen – weltweit, aber auch hier in Österreich. Die Klimakrise trifft vor allem diese Schichten besonders stark. Die Reichen können sich’s immer richten. Die Reichen können sich eine Klimaanlage im Sommer installieren und schauen, dass es im Winter schön warm ist. Aber gerade die Energieversorgung gestaltet sich bei ärmeren Schichten besonders schwierig, Wohnungen sind oft schlecht gedämmt und zusätzliche Systeme zu teuer.

Auch durch einen geringeren Zugang zu Bildung oder zu Mobilität haben es Mädchen und Frauen schwieriger. Wenn wir z.B. in den Globalen Süden schauen: Wenn eine Flut oder ein Dürreereignis kommt, können Männer eher abhauen, während Frauen ihre gesamte Lebensgrundlage und ihre Familie dort haben und diese auch versorgen wollen und müssen.

Romana: Klimaschutz ist also mit sozialer und globaler Gerechtigkeit verbunden. Wenn wir uns hier die Genderperspektive anschauen, dann fällt auf, dass Männer auch den größeren ökologischen Fußabdruck haben. Kannst du uns erklären, was hinter diesem Konzept des Fußabdrucks steckt und warum Männer quasi „auf größerem“, um nicht zu sagen, zu großem Fuß leben?

Klara: Hier sehen wir genau das gleiche Konzept wie bei der vorigen Frage: Frauen sind durchschnittlich ärmer, Männer sind durchschnittlich reicher. Und die reichsten Personen auf der Welt sind hauptsächlich Männer. Hinzu kommt: Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung sind auch diejenigen, die den größten CO2-Fußabdruck haben. Das heißt: Sie fliegen am meisten, haben den größten Wohnraum, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht brauchen, haben die größten Autos – mit denen sie wieder mehr CO2 in die Luft schleudern. Und dieser exzessive Lebensstil der vorwiegend reichen Männer wirkt sich darauf aus, dass Frauen eigentlich den kleineren Fußabdruck zur Klimakrise beitragen.

Da sehen wir diese Ungerechtigkeiten und warum Klimagerechtigkeit so wichtig ist. Die Leute, die sich’s richten können, die eh schon alles haben, sind auch diejenigen, die dann auch weiterhin alles haben werden. Das heißt, es trifft immer die ärmeren Schichten und eben die, die eigentlich einen kleineren Anteil am Gesamt-Fußabdruck der Erde haben – also Mädchen und Frauen.

Romana: Braucht es dann nicht eigentlich so etwas wie eine Steuer für sogenannte „Klimasünder*innen“?

Klara: Das Klimavolksbegehren, das am 9.3.2021 die letzte Sitzung im Parlament gehabt hat, sieht vor, dass eine ökosoziale Steuerreform kommt und dass dabei die finanziell schwächeren Schichten nicht hart getroffen werden sollen, weil Klimaschutz kein Privileg sein darf. Es ist daher sehr wichtig, dass über Steuern Regulierungen geschaffen werden, die Klimaschutz wirklich allen Menschen möglich machen. Im Pariser Klimaabkommen ist eine Art soziale Gerechtigkeit intendiert. Denn allein schon, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt wird, heißt: Wir wollen Gerechtigkeit schaffen für Inselbewohner*innen oder für Menschen, die in sehr trockenen Gebieten der Erde wohnen, die bei mehr als 1,5 Grad nicht mehr bewohnbar wären. Wenn wir die Klimakrise aufhalten oder verlangsamen können, dann ist das auf jeden Fall etwas, das der sozialen Gerechtigkeit hilft. Weil eben diese nicht von den verheerenden Folgen getroffen werden und superreiche, auf großem ökologischem Fußabdruck lebende Menschen besteuert werden.

Romana: Hast du das Gefühl, dass das 1,5 Grad Ziel soweit eingehalten wird und alles Nötige passiert, um nicht auf eine Klimakatastrophe zuzusteuern? Und liegt es deiner Meinung nach an der öffentlichen Wahrnehmung, dass man das Gefühl hat, es geht nichts weiter, oder muss wirklich noch mehr passieren?

Klara: Es müsste viel, viel mehr passieren. Wir steuern weiterhin auf die 3 – 4 Grad zu. Die Politik hat teilweise vergessen, dass sie diejenigen waren, die diesen Kompromiss – also das 1,5 Grad Ziel des Pariser Abkommens – geschlossen haben. Das ist denen teilweise gar nicht bewusst und dann sagen sie uns immer nur „All das, was ihr fordert, ist doch viel zu viel. Politik ist ein Kompromiss und das müsst ihr doch verstehen“. Ja – der kleinste Kompromiss, den ihr geschlossen habt, liebe Politiker*innen, ist das Pariser Klimaabkommen und daran habt ihr euch zu halten! Trotzdem sind sie dann immer sehr verwundert, wenn wir Fridays For Future Forderungen aufstellen, die eigentlich schon im Pariser Klimaabkommen drinnen stehen. Und die Politiker*innen verstehen auch nicht, dass diese klare Begrenzung und die Einhaltung von 1,5 Grad unbedingt nötig ist. Und dass eigentlich auch maximal 2 Grad Erderhitzung schon viel zu viel und die absolute Obergrenze ist.

Romana: Manche ideologischen Strömungen reden sich bei diesem Aspekt darauf aus, dass der Handlungsbedarf bei den einzelnen Bürger*innen liege. Dass wir allein als Individuen die Klimakrise bekämpfen könnten, indem wir regional/saisonal einkaufen würden, ein Jute- statt Plastiksackerl verwenden würden und so weiter. Kannst du diesen Mythos für uns aufdecken?

Klara: Die großen Emissionen werden trotzdem von Großkonzernen verursacht. Selbst wenn wir in Österreich versuchen würden, unseren Fußabdruck so klein wie möglich zu halten, würden wir immer noch viel mehr Ressourcen brauchen, als wir eigentlich zur Verfügung haben. Es wäre immer noch mehr als eine Erde, die wir verbrauchen würden. Und das zeigt einfach, dass die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen, dass unnachhaltige Wohnblöcke saniert gehören, dass noch mehr in erneuerbare Energien investiert werden muss.

Klar ist es gut, wenn Leute versuchen, sich zu ändern, weniger Fleisch zu essen oder weniger mit dem Auto zu fahren. Jedes Kilogramm CO2 zählt, aber die großen Hebel passieren nicht bei uns Einzelnen – die müssen wir durch politische Handlungen erzielen. Hier spricht sich die Politik selbst auch wahnsinnig viele Kompetenzen ab und erfindet Ausreden: „Das sind ja alles die Leute und die wollen Klimaschutz ja gar nicht“. Das ist eine sehr feige Haltung, finde ich.

Romana: Bei Fridays For Future-Demonstrationen findet man einen hohen Frauenanteil vor – so gut wie immer sind mindestens 60% der Demonstrierenden weiblich, teilweise sogar mehr als 70%. Wie erklärst du dir, dass so viele Frauen – die ja als die vermeintlichen “Zukunftsträgerinnen” bezeichnet werden – das Klimathema mittragen und dennoch so wenig politisch weitergeht?

Klara: Für die Politik ist es vermutlich relativ egal, ob viele Mädchen und junge Frauen auf die Straße gehen oder junge Männer und Buben. Ich glaube, dass es einfach die Masse an Menschen ausmacht, die Druck macht. Und der Grund, warum wahrscheinlich so viele junge Frauen dabei sind, ist sicher auch, weil sie so viele Vorbilder in dieser Bewegung haben. Greta Thunberg zum Beispiel. Diese Vorbildrolle oder diese Führungsperson hat für junge Menschen gar nicht so eine große Bedeutung, wie in älteren Altersklassen. Denn hinter FFF steht ja nicht nur Greta Thunberg, es gibt Luisa Neubauer (FFF Deutschland), Anuna de Wever und Adélaïde Charlier (belgische Klima-Aktivistinnen), Vanessa Nakate (Klima-Aktivistin aus Uganda). Und ich glaube, dass viele dieser jungen Frauen, die in der Klimabewegung groß sind, auch einmal in der Politik etwas zu sagen haben werden.

Die Genderverteilung ist 60 % junge Frauen zu 40 % junge Männer bei Streiks. Trotzdem haben wir bei politischen Arbeitskreisen eher das Problem, junge Frauen dazu zu bekommen, als in Arbeitskreisen, wo es um Social Media, Presse oder Streikvorbereitung geht. Also hier bemerkt man schon Geschlechtsstereotype, die sich dann auch auf die tatsächliche alltägliche Arbeit beziehen. Dabei haben wir so viele coole Frauen, die der Politik die Stirn bieten könnten!

Wir arbeiten aber auch innerhalb von Fridays For Future daran, in unseren Arbeitskreisen ausgewogene Geschlechterverteilungen zu haben: Einer unserer Kreise beschäftigt sich explizit mit dem Thema Diversität, außerdem organisieren wir interne Diskussionsrunden, um eventuelle Hemmschwellen vor politischen Gesprächen zu reduzieren. Wir versuchen generell, einander zu bestärken und zu fördern.

Romana: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie optimistisch bist du, dass wir die Klimakrise, wenn wir sie schon nicht aufhalten, zumindest verlangsamen können? Wie sehr glaubst du, dass wir’s noch irgendwie drehen können?

Klara: Ich glaube, das ist so eine Sache der Tagesverfassung. Es gibt schon Tage, an denen ist jede Person von uns frustriert und wir fragen uns: „Warum machen wir das überhaupt? Das bringt eh nichts.” Wir sehen einfach, wie wenig sich die Politik bewegen möchte. Wenn du bei jedem politischen Termin die gleichen Sprüche hörst und die Politiker*innen sagen: „Wir machen eh schon alles, was wir können“. Das frustriert sehr.

Aber auf der anderen Seite sehen wir auch, was wir bisher erreicht haben und wie das Klima jetzt überall Thema ist. Der OMV-Chef gibt kein Interview mehr, wo das Thema Klima nicht vorkommt. Das ist schon einmal etwas. Bei den letzten Nationalratswahlen war Klimaschutz das wichtigste Wahlthema. Und es gibt auch nicht mehr die Frage „Glaubst du an den Klimawandel?“. Mittlerweile hat sogar die FPÖ verstanden, dass es den Klimawandel gibt. Die Frage dort ist eher, ob er menschengemacht ist oder nicht. Aber ich glaub schon, dass wir Einiges bewegt haben und noch Vieles bewegen werden. Wir laufen keinen Sprint, wir laufen einen Marathon. Ich bin überzeugt davon, dass wir die Klimakrise deutlich beschränken werden, wenn auch recht wahrscheinlich nicht auf 1,5 Grad. Aber jedes Zehntel Grad weniger Erhitzung zählt!