Trans*gesundheitsversorgung: Ein rares Luxusgut

Die 18-jährige Claire Kardas ist stellvertretende Obfrau des Frauenvolksbegehrens, setzt sich für Rechte von Trans*personen ein und schupft nebenbei die Social-Media-Kanäle von Fridays For Future. Momentan beschäftigt sie sich intensiv mit der Trans*perspektive im Gesundheitswesen. Im Zuge des Pride Months durfte ich, Klara Butz, sie zu diesem Thema interviewen.

Klara Butz: Was fehlt in der Gesundheitsversorgung für Trans*personen?

Trans*gesundheitsversorgung: Ein rares Luxusgut

Claire Kardas: Das Gesundheitssystem für Trans*personen muss verbessert werden, es braucht mehr Stellen für die Behandlung und Begleitung von Transitionen, mehr Therapieplätze und Schulungsarbeit gegen Diskriminierung durch das Gesundheitspersonal. Das sind die Hauptforderungen, die auch die HOSI Linz in ihrem offenen Brief beschreibt. Auch an Fachwissen im medizinischen Bereich mangelt es allgemein. Es gibt sehr wenige Geschulte in diesem Bereich – da braucht es mehr Ärzt:innen, Therapeut:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen und Endokrinolog:innen.

Klara: In diesem offenen Brief, den du angesprochen hast, geht es ja konkret um die Situation in Linz. Trifft das auch für größere Städte wie Wien zu oder gibt es dort mehr Angebot?

Claire: Die Situation ist eigentlich österreichweit so. In Wien ist es ähnlich. Im AKH Wien gibt es aber die Transgender-Ambulanz für Erwachsene, was sehr gut ist. Für Jugendliche und Minderjährige gibt es die Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung. Andere Bundesländer haben ähnliche Ambulanzen, ansonsten kann man auch zu den (wenn auch wenigen) dafür ausgebildeten Frauenärzt:innen gehen. Diese Ambulanzen sind dann trotzdem unterbesetzt, es ist sehr schwierig Termine zu bekommen. Wartezeiten von 5 Monaten oder mehr auf Routinetermine sind keine Seltenheit. Dass sie überhaupt existieren, findet man nur schwer heraus, es gibt generell viel zu wenig Wissen über diese Ambulanzen. Bei der Frage „Hilfe, ich bin trans – was soll ich tun?“ ist es demnach für Betroffene sehr schwierig, überhaupt an Informationen zu gelangen. Da braucht es eben auch mehr Beratungsstellen. Es gibt glücklicherweise die Courage (eine Beratungsstelle, Anm.) und den Verein TransX, die da hilfreich sein können. In den meisten Bundesländern gibt es zusätzlich Antidiskriminierungsstellen, die in Wien arbeitet auch stark mit der Courage zusammen. Die Wiener Antidiskriminierungsstelle ist definitiv die größte und am besten vernetzte. Es ist trotzdem nirgendwo gut genug. Aber vermutlich wird man im AKH besser beraten als in einer kleineren Klinik oder bei Frauenärzt:innen in einem anderen Bundesland. Es gibt allgemein einen Mangel an ausgebildeten Endokrinolog:innen, Psychiater:innen und Therapieplätzen – da sind die Probleme genauso wie in Linz.

Klara: Mit welchen Hürden und Problemen wurdest du persönlich schon in Gesundheitseinrichtungen konfrontiert?

Claire: Neben dem unglaublich schwierigen Prozess um an Hormone, OPs und den angepassten Geschlechtseintrag und Namen zu gelangen, wurde z.B. vor kurzem in einem Wiener Spital wiederholt nach meinem alten, männlichen Namen gefragt, ohne dass dies von medizinischer Relevanz wäre. Das war allein aus Interesse der Oberärztin und zur Bespaßung ihres Teams, ich habe mehrmals darum gebeten, aufzuhören. Mir wurde gesagt, ich soll nicht so tun und doch einfach nachgeben – das habe ich aber nicht. Dieses Verhalten ist total unangemessen und auch als „deadnaming“ bekannt. Mein Name ist Claire Kardas, so steht es in meinem Pass, meiner Geburtsurkunde und auch auf meiner E-Card. Mein Geschlechtseintrag ist weiblich. Mehr brauchen sie nicht wissen. Sie haben aber weiter nachgebohrt und fanden das witzig und haben offenbar sogar Wetten abgeschlossen oder diskutiert, welcher Name es denn gewesen sein könnte.

Klara: Das war dann eindeutig kein auf trans* geschultes Personal.

Claire: War es definitiv nicht. Aber es ist sehr unterschiedlich – dort waren sie transphob, im Stockwerk darüber waren sie hingegen gut geschult und hatten sogar Mitarbeiter:innen, die die Courage kannten. Das zeigt halt wieder, wie krass die Unterschiede sind.

Aber zurück zu meinen Hürden und Problemen. Ich hatte auch schon das Problem, dass in einem anderen Krankenhaus wegen eines Computerfehlers in der Notaufnahme meine Daten nicht richtig übernommen wurden, also Geschlechtseintrag und Name. Es wurde dann länger herum probiert, meine E-Card gesteckt, auf der natürlich mein aktueller weiblicher Name steht. Im System schienen weiterhin die alten Daten auf. Dann wurde ich um weitere Identifikationsdokumente, also Reisepass, gebeten, den hatte ich glücklicherweise mit. Der wurde eingescannt und an die IT geschickt, während ich mit Schmerzen in der Notaufnahme am Schalter stand. Die Datenkorrektur hat dann nicht geklappt und sie haben mich dazu gezwungen, dass ich ein Armband mit meinem alten Namen und meinem alten Geschlecht annehme. Das war extrem erniedrigend und unangenehm. Das wollte ich eigentlich nicht, aber sie meinten es gäbe keine Alternative.

Ich habe dann darum gebeten, dass sie mich zumindest richtig aufrufen und das haben die Ärzt:innen alle – bis auf eine bemühte Pflegerin – ignoriert. Es war mir dann so unangenehm, dass ich angefangen habe zu weinen. Ich wurde von allen rundherum angeschaut – wieso wird eine Frau mit männlichem Namen aufgerufen? Die Ärzt:innen haben es nicht verstanden und sagten wieder: „Tu dich nicht so, ist doch nicht so schlimm“, weil sie sich nicht in die Lage hineinversetzen können und ohne Schulung nicht verstehen, dass es psychisch belastend ist, mit dieser Vergangenheit konfrontiert zu werden. Das war ein ziemlich unangenehmer und schlimmer Moment für mich.

Was mich dann auch noch sehr gestört hat, war, dass die Ärzt:innen nur auf das fixiert sind, was der Computer sagt. Gegen Ende des Krankenhausaufenthaltes hatte die IT dann endlich meine Daten korrigiert und da sagte der Arzt dann: „Ah, Frau Kardas, jetzt sehe ich Sie.“ Erst dann wurde ich ernst genommen und richtig betitelt – erst nachdem es im Computer geändert wurde. Der Name auf meinen Ausweisen und meine Bitten waren egal.

Klara: Unfassbar. Passiert das auch bei Ärzt:innen, die dich schon länger kennen?

Claire: Als Kind wurde mir von Psychotherapeut:innen gesagt, dass ich einfach Fußballspielen und etwas mit Jungs unternehmen soll. Ich habe es gehasst und wollte lieber rosa Glitzerkleider tragen und mit Mädchen spielen. Aber damals wusste ich ja nicht, dass ich trans bin – es fehlt an Bildung! Auch Menschen im Bildungsbereich gehören sensibilisiert, damit der Umgang für Trans*personen besser wird und dass Trans*menschen auch entdecken können, dass sie überhaupt trans* sind. Mittlerweile wird ja auch Kindern beigebracht, dass es nicht nur heterosexuelle Paare gibt und das macht die Kinder ja auch nicht automatisch schwul, lesbisch, bi oder sonst etwas. Sie erfahren nur endlich auch in frühen Jahren, dass es mehr als nur diese eine Variante gibt. Das könnte Kindern extrem viel Leid ersparen, weil sie sich dann nicht mehr fragen müssen, ob sie falsch oder komisch sind. Übrigens spart das auch dem Staat und Krankenkassen viele Kosten, wenn vor der Pubertät – also im Kindesalter – unbedenkliche, sogenannte Pubertätsblocker, eingesetzt werden. In dieser Zeit der Pubertätsunterdrückung kann dann lange genug überlegt werden, ob man die Transition fortführen will oder nicht. In letzterem Fall werden die Blocker einfach abgesetzt und die Pubertät tritt ein. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte solche Pubertätsblocker in der Kindheit bekommen – Stimmfeminisierung (wenn der Stimmbruch nie einsetzt) würde ich mir ersparen, genauso die Haarentfernung oder sonstige, mit männlichen Personen verbundene Merkmale – die dann mit viel Zeit und Geld wieder entfernt oder umgekehrt werden müssen. In der Schule meiner Schwester hat die Lehrerin das Thema Transgender letztens angesprochen und sie haben jetzt sogar einen Transgender-Jungen in der Klasse der zu ihnen gewechselt hat, was ich sehr cool finde.

Aber auch mein Hausarzt war sehr ungut am Anfang meiner Transition. Ich wollte mir ein Rezept abholen, da hat er zu seiner Assistentin gesagt „Wenn die Frau Kardas eine Frau sein möchte, muss sie aber noch an ihrer Stimme arbeiten”. Das hat mich sehr gekränkt und schockiert, dass das vor allen Menschen laut gesagt wird. Zu dem Zeitpunkt hatte ich erst vor ein paar Wochen mit Logopädie begonnen, also mit meiner Stimmfeminisierung, und mich schon sehr viel mit meiner Stimme beschäftigt. Die Worte des Arztes waren da dann besonders verletzend und abstoßend, weil ich eh wusste, dass meine Stimme nicht perfekt ist. Das wollte ich nicht von meinem Arzt hören.

Klara: Stimmfeminisierung?

Claire: Da machen wir verschiedene Übungen, das ist echt cool und hat mir sehr geholfen. Gerade erst heute hatte ich dort wieder einen Termin. Da hatte ich echt Glück, mein Logopäde kennt sich da richtig aus und hat sogar Krankenkassen-Plätze. Die meisten anderen sind privat und kennen sich auch mit dem Thema nicht aus.

Klara: Damit kommen wir auch schon zu meiner nächsten Frage: Wie viel davon übernimmt die Krankenkasse?

Claire: Leider fast gar nichts. Die Krankenkasse übernimmt lediglich OP-Kosten und zahlt – bis auf die Rezeptgebühr – die Hormone. Hormone können ziemlich teuer werden, meine Testosteronblocker würden ohne Krankenkasse ca. 350 Euro für je drei Monate kosten. Das Budget im Gesundheitsbereich ist für das, was es alles bräuchte, schmal. Dabei geht es hier um die Leben und Existenzen von Menschen. Die Kosten für Stellungnahmen müssen beispielsweise selbst getragen werden.

Klara: Was hat es mit diesen Stellungnahmen auf sich?

Claire: Stellungnahmen sind das magische Zauberwort in der Trans*gesundheitsversorgung, die braucht es nämlich für gefühlt alles. Für die „gegengeschlechtliche Hormonfreigabe“ werden schon allein drei Stellungnahmen benötigt: Eine klinisch-psychologische, eine psychotherapeutische und eine psychiatrische. Die sind alle selbst zu zahlen und kosten meist zwischen 150 Euro und 300 Euro. Ich hatte noch das Glück, dass ich mit meiner Transition bereits mit 17 angefangen habe, da konnte ich noch zu Kinder- und Jugendpsycholog:innen, die das meistens auf Krankenkassenkosten gemacht haben. Wenn man dann 18 ist, geht das nicht mehr so einfach. Man bekommt auch nur einen Teil oder gar nichts davon zurückerstattet. Vor jedem operativen Eingriff benötigt man dann noch zusätzlich zwei Stellungnahmen. Ich habe ein dreiviertel Jahr nach einer:einem Psychiater:in gesucht, die:der mir das schreiben kann. Es gibt zwar eine Seite, wo du Psychiater:innen finden kannst, aber da kosten die Stellungnahmen dann schnell 300 Euro und die Krankenkasse übernimmt nichts oder die Praxen sind vollständig ausgebucht und nehmen nur Personen aus bestimmten Bezirken. Letztendlich habe ich einen gefunden, der auch bei der Courage arbeitet, der macht das super.

Zusammenfassend: Die OP wird bezahlt, aber der Weg dorthin nicht. Bis dahin braucht es fünf Stellungnahmen, das geht ganz schön ins Geld. Vor einer Geschlechtsangleichenden OP (GaOP) ist außerdem eine Laserbehandlung im Intimbereich notwendig, die kostet nochmal ca. 1500 Euro. Wenn man nicht schnell genug Testosteronblocker als Jugendliche nimmt, entwickelt sich auch leider ein Bartwuchs, das loszuwerden sind nochmals ca. 1500 Euro. Das wird nicht von der Krankenkasse übernommen. Psychischen Leidensdruck hat man dadurch extrem – Geschlechtsdysphorie. Panikattacken oder starker Unmut beim Rasieren sind unter Trans*personen keine Seltenheit. Ich finde, ab dann sollte es doch eine Kassenleistung sein.

Klara: Findest du diesen Prozess gerechtfertigt?

Claire: Ich finde diesen Prozess überhaupt nicht gerechtfertigt. Ich will nicht sagen, dass es nichts davon braucht. Es braucht bestimmt psychotherapeutische und psychiatrische Gutachten davor. Immerhin sind das lebensverändernde Prozesse. Es sollten Teile von der Krankenkasse übernommen werden, schließlich ist das nichts, was ich mir einfach nur aus Spaß gönne. Die klinisch-psychologische Stellungnahme ist meiner Meinung nach sehr ableistisch, ausländer:innenfeindlich und transphob. Da wurden Reaktionstests und Deutschtests mit mir gemacht und sie schauen, ob sich die Personen das nicht einfach nur einbildet. Anscheinend wird das alles benötigt, um zu wissen, ob ich reif genug und vollen Bewusstseins bin. Psychotherapie von zwei Jahren vor der Hormontherapie ist außerdem vorgeschrieben, was auch extrem viel kostet und zeitaufwändig ist.

Ich verstehe zum Beispiel auch nicht, wieso man vor OPs nochmal zwei große Stellungnahmen benötigt, wenn man sich eh schon sicher ist, dass die Person trans* ist und Hormone kriegt – warum dann nicht auch die OP? Aufgeklärt wird man durch das medizinische Personal davor ohnehin. Es gibt auch viel zu wenige Chirurg:innen, die dazu ausgebildet sind. In Wien sind es, glaube ich, nur zwei, und dann in jedem Bundesland vielleicht noch eine weitere Person. Da ist die Warteliste dann zwei bis drei Jahre lang, manchmal länger. In Privatkliniken oder im Ausland kommt man viel schneller dran. So wird die Trans*-Gesundheitsversorgung zum Luxusgut. Es ist eine extreme Hürde, wenn Kassenplätze zu rar sind. Vor allem für uns jüngere Trans*personen sind diese Kosten teilweise untragbar oder nur mit mehreren Jobs möglich.

Klara: Gibt es denn konkrete Veränderungsvorschläge aus der Politik?

Claire: Es gibt immer wieder Forderungen, die gestellt werden, wie zum Beispiel der offene Brief von der HOSI Linz. Dem Parlament liegt momentan ein Antrag vor, mit dem geklärt werden soll, wie die Gesundheitsversorgung während der Corona-Pandemie gelitten hat. Darunter fällt zum Beispiel die Verschiebung von Operationen und Personen sind nicht zu ihren Hormonen gekommen. Der Antrag spricht auch an, dass viele der notwendigen Behandlungen nicht im Leistungskatalog der ÖGK sind, also im Katalog der Behandlungen, die sie bezahlen. Auch Fortbildungen und Kassenplätze für psychotherapeutische bzw. psychiatrische Leistungen werden in diesem Antrag angesprochen.

Die Coronakrise hat sich zudem im Bereich der Trans*gesundheit bemerkbar gemacht, dabei gab es ja auch davor schon mangelnde Versorgung. Sie ist jetzt noch schlechter geworden. Das war auch bei mir bemerkbar – die Ambulanz hat im ersten Lockdown geschlossen und ich konnte somit nicht mit meiner Hormontherapie beginnen. Erst nach mehreren Telefonaten bin ich an meine Rezepte (über den Postweg) gekommen und war so froh, weil es endlich losgehen konnte. Meine Apotheke war erst auch überfordert und kannte sich nicht ganz aus – ein Rezept musste nochmals umgeschrieben werden, ich musste ganz genau und mehrmals erklären, was ich da bekomme, das wurde dann auch bestellt und war nach kurzer Wartezeit da. Mittlerweile läuft das zum Glück viel reibungsloser ab.

Ein weiterer Antrag im Parlament beschäftigt sich übrigens mit dem dritten Geschlechtseintrag, weil dieser bisher nur für Intersex-Personen vorgesehen ist und auch für diese nur sehr schwer zu erlangen ist. Intersex-Kinder werden immer noch zwangs-operiert und nicht-binäre Personen müssen mit ihrem Geschlechtseintrag, der ihnen bei der Geburt gegeben wurde, weiterleben. Da braucht es noch mehr Verständnis von Seiten der Politik.

Klara: Als Abschluss des Gesprächs noch eine letzte Frage: Wie feierst du den Pride Month?

Claire: Ich werde am 19. Juni auf die Pride in Wien gehen und meine ganzen queer-Freund:innen mitnehmen und im Juli ist geplant, dass ich auf ein Camp für junge Trans*- und Inter-Personen fahre, damit schließe ich meinen Pride Month dann ab. Die Arbeit für mehr Queer* und Trans* Liberation/Acceptation geht jedoch weiter – und das in jedem Monat!

Klara: Wo findet man deine Arbeit?

Claire: Wie gesagt bin ich beim Frauenvolksbegehren und bei Fridays For Future aktiv – privat setze ich mich auf Instagram und Twitter für diese Themen ein und kläre darüber auf.

Klara: Wundervoll, dann sehen wir uns auf der Pride. Danke für das Interview und deinen Einsatz, liebe Claire!

Trans*gesundheitsversorgung: Ein rares Luxusgut

Klara Butz

Trans*gesundheitsversorgung: Ein rares Luxusgut

Claire Kardas